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5) (Nachtrag) In Dunsmuir und bei Kellyfish/Crossroads

 4.-7. November, Tage 219-222

The best water on earth

Mein Vorhaben, in Dunsmuir nur eine Nacht zu bleiben, schlug grandios fehl. Je länger ich unterwegs bin, desto mehr zieht sich das Ende hin. Sas und Janice vom Perllan-House sagten mir, die zweite Nacht koste nur 49 Dollar, da man ja die Grundreinigung (die sie als airbnb mit 25 Dollar berechnen, also 74 Dollar Nacht 1, 49 Dollar Nacht 2) nur einmal hat. Und da ich dieses fantastische Zimmer hatte inklusive tollem Sconefrühstück, Cerealien & Milch, Saft und organic Äpfeln aus dem Garten fiel die Entscheidung fürs Bleiben aus. Ich wollte ja auch weiter Blog nachtragen, einkaufen und noch ein Päckchen für Olli fertig machen mit allem, was ich nicht mehr brauchte, um den Rucksack für die letzten heftigen Etappen leichter zu machen, dann noch SD-Karten Backups mitschicken und eine kleine süße Überraschung, die wir auf dem Trail immer hatten und die einmal unter mysteriösen Umständen verschwunden war: der Riegel Rocky Road, Marshmallow mit einer Schicht gemahlenen Cashewnüssen, umhüllt von Milchschokolade - eine unserer Lieblingsüßigkeiten. Ich hatte inzwischen auch Kontakt mit Jule in Guatemala gehabt und wollte wissen, ob man Röcke tragen kann, wetterhalber. Es war dort eher die "kalte" Jahreszeit antwortete sie, aber zudem trüge sie nur Röcke bis übers Knie, aus Respekt vor den Frauen dort, die weitgehend in Tracht laufen, bzw. auch für sich selbst, um sich nicht unwohl zu fühlen. So habe ich einen meiner beiden Röcke, den kürzeren, in das Olli-Paket rein getan. Neben allem, was erledigt werden mussten, hatte sich auch ein wenig eingebürgert, dass wir und ich die Empfehlungen anderer Hiker in Guthook "abarbeiteten" - man kann sein "Wesen" eben doch nicht so leicht ablegen. Bedeutete, dass ich auf jeden Fall noch ins Wheelhouse zum Essen wollte, das aber erst wieder am Mittwoch auf hatte. So kam mir die zweite Übernachtung mit dem Plan, wie üblich gegen Nachmittag Auszuhiken sehr gelegen, um noch einiges ausprobieren zu können und mich weiter zu erholen. Außerdem fiel so auch die Entscheidung fürs Wäschewaschen im Haus Perllan und durch Janice (10 Dollar).

Montag, Dienstag waren insgesamt ruhige Tage in Dunmuir, einige Lokalitäten haben da zu. So bin ich Dienstag zum zweiten Frühstück ins Cornerstone, das auf hatte, und danach durch die Stadt geschlendert, auch zum Brunnen mit "The best water on earth", zum Kunstmuseum, das zwar auch geschlossen war - doch von außen interessanten Einblick bot - und im Hof daneben waren die Wände bemalt und befanden sich indische Gottheiten auf Säulen. Schlussendlich landete ich schon nachmittags in der Bar und trank einen Whisky. Ich musste sehr dringend auf die Toilette und es hatte nichts anderes in der Nähe auf ;-))

 

Are you a good or a bad witch?

Doch bis ich ins Cornerstone los kam, das leider schon um 14 Uhr zu machte, waren viele eingegangene Nachrichten zu beantworten. Außerdem habe ich mich noch lange mit Jamie, der helfenden Hand im Haus unterhalten. Schon Mitte 30 und ein bisschen auf der Suche, hatte sie noch einen weiteren Job in der "hospitality". Sie fuhr mit ihrem Wagen seit zwei Jahren herum, in dem war, was sie brauchte, auch um irgendwo einfach stehen zu bleiben und zu übernachten. Sie hatte einmal angefangen zu studieren, aber diese Art Leben würde besser zu ihr passen, ein bisschen hiervon, ein bisschen davon.


Zur Bar will ich noch hinzufügen, dass es einfach Spaß macht, am Tresen zu sitzen und sich der Szenerie hinzugeben: Hier kamen die Leute auf einen schnellen Trink rein, man zahlte bar und legte das Geld sofort auf den Tresen. Zum Beispiel eine alleinstehende Frau mit Hund, die einen doppelten Gintonic bestellte, zwei, die Billiard spielten, Angehörige vom Barmann. Man warf sich ein paar Sätze zu - alles war klar, man kennt sich - und ging wieder. Übrigens war es eine sehr schöne Kneipe mit alten Blechwerbeschildern an den Wänden, lustigen Sprüchen, Plakaten von berühmten Musikern, auch eines der Beatles wie sie über den Zebrastreifen gehen und einer kleinen Bühnen. Vor den Toiletten hing wandfüllend ein großes Filmplakat mit Reese Witherspoon im Film "Walk the line", der die Lebensgeschichte von Johnny Cash erzählt. Reese Witherspoon spielt ja auch im Film "Wild - Der große Trip" die Rolle von Cheryl Strayed, die den PCT läuft, um ihr Leben wieder auf die Kette zu kriegen und von den Drogen weg zu kommen. Seit der Film 2014 rauskam, wurde der PCT noch populärer. An der Damentoilettentür war eine Abbildung aus einem anderen meiner Lieblingsfilm "The Wizard of Oz" mit der guten Hexe des Westens und dem Spruch drauf: "Are you a good or a bad witch?"

 

Perlenketten an Fenstern

Abends bin ich nochmals in die Brewery, den Jungs dort hatte ich versprochen, nochmals zu kommen. Zwischen zwei Bier und dem Reuben Sandwich (Turkey und Rotkraut - outstanding) habe ich meinen Einkauf für die nächste Strecke erledigt. Abgeschlossen habe ich den Dienstag Abend im Yaks, einem etwas abgelegenen Cafe/Restaurant bei der Gasstation und in Sichtweite vom Dollar General Store. Im Yaks trank ich einen Rotwein. Überall an den Fenstern hingen - quasi wie Vorhänge - Modeschmuckketten und ich nahm mir vor, wenn ich zurück bin, einige der Ketten von Tante Christa hinzuschicken, da das wirklich eine sehr hübsche Dekoidee war und Tante Christa gefallen würde.

 

Am Mittwoch habe ich im Wheelhouse Chicken Wings in Knoblauch verspeist und einen Sekt dazu getrunken. Blog geschrieben und das Päckchen für Olli vorbereitet. Unterm Wheelhouse, mit Sichtglasscheibe, floss Wasser durch, ansprechende Kunst - Bilder und Skulpturen - hingen an der Wand und standen umher und die Spielesammlung hätte unseren Freund Thomas Hanisch in Deutschland komplett aus dem Häuschen gebracht. Nur ein Trailregister gab es nicht oder war schon weggeräumt.

 

Post kann Seelen öffnen

Nach diesen schönen Erlebnissen an den zwei Tagen hatte ich zum Schluss noch ein Erlebnis der dritten Art in der Post, nach so vielen tollen Erlebnissen auf US-Amerikanischen Postämtern. Ich verließ das Wheelhouse und war 16.45 Uhr beim Postamt.

Die Post hatte bis 17 Uhr auf, das hatte ich am Vorabend an der Tür noch gelesen, die Post war schräg gegenüber vom Perllan-House. Es waren noch "anderthalb" Kunden vor mir, also die Frau, die grade am Schalter dran war und quasi im Fertigwerden und der Typ, der zwischen ihr und mir stand. Er hatte ein unaufwändiges Anliegen. Dennoch erklärte mir die Postbeamtin, dass sie mein Päckchen heute nicht mehr annehmen würde. "International" dauere im Schnitt 12 Minuten, rechnete sie mir vor, die hätten wir nicht mehr. Ich sagte, es sei grade erst Viertel vor vorbei, das hätte ich ja noch nie erlebt. Draußen an der Tür würde stehen, dass man bei internationalen Sendungen rechtzeitig, bis eine halbe Stunde vor Schließzeit, da sein soll. Ich frage, wo das stehen soll. Ich sei gestern Abend extra noch vorbeigelaufen, um nach den Öffnungszeiten zu schauen. Es stellte sich dann heraus, dass der Hinweis an der zweiten Eingangstür, nach dem Bereich mit den PO-Boxen, hängt und somit für mich am Abend nicht lesbar war. Die äußere Eingangstür wird nämlich wegen Vandalismus und Diestahl bis auf weiteres abends verschlossen und man entschuldigte sich bei den PO-Box-Nutzern etc. dafür. Sie sah ein, dass ich das also nicht wissen konnte. Aber nein, ich solle morgen wieder kommen. Ich sage, ich hike gleich aus und sei morgen nicht mehr da.
Sie bleibt unerbittlich. Ich sage, das sei jetzt schon arg, so etwas hätte ich noch nie erlebt, auf keinem der 20 Postämter, die wir mit unseren Belangen bemühen mussten. Inland würde sie noch annehmen. Aber, das bringt ja nichts, ein weiteres Paket zu Marylou nach New York zu schicken, es sind ja Back-Ups drin und die Überraschung für Olli. Ich überlege, was ich tun kann. Sas und Janice fragen ... Mir rollen Tränen über die Backen. Enttäuschung, es sind eben doch nicht nur alle nett. In den Tränen macht sich aber auch die allgemeine mentale und körperliche Erschöpfung breit. Ich wende mich ab, damit die Postbeamtin es nicht sieht. Ist nicht mein Stil, jemanden mit meinen Tränen unter Druck zu setzen. Doch verhindern kann ich sie auch nicht. Also weine ich in die andere Richtung. Die Beamtin spürt irgendwas. Sie wird weich. Sie nimmt meine Customserklärung, die ich weiterhin ausgefüllt habe, entgegen. Sie bearbeitet das Paket. Ich kann das Schluchzen kaum unterdrücken. Bin am Ersticken. Bin dankbar für ihr weiches Herz. In einem kurzen Dialog mit dem Kunden vor mir hatte ich mitbekommen, dass ihr Mann offensichtlich krank ist. Man verhärtet oft, wenn man Sorgen hat. Ich möchte meinem Mann einfach nur dieses Päckchen schicken. Ohne Worte sind wir uns plötzlich einig. Das Päckchen geht mit 2 lb 11 ounces, 1,218 kg, für 37,50 Dollar raus. Ich verlasse die Post 5 nach 5.
Sas und Janice verstehen nicht, dass ich noch aushiken möchte, es würde ja schon bald wieder dunkel, ich solle eine dritte Nacht bleiben. Doch ich sage mir, wenn ich heute da nicht wegkomme, lasse ich es ganz. Ich erkläre Sas, dass er  mich zu Kellyfish/Crossroads bringen soll. Ich hatte mir überlegt, einfach 1,5 Meilen näher am Trail eine Nacht bei Kelly in der Garage zu verbringen, dort den Blog zu Ende zu bringen, ihren Place anzuschauen und am nächsten Tag so früh, wie möglich dort loszuziehen. Kelly war einverstanden, meinte aber, es gäbe keine Toilette mehr, man müsse den großen Garten nutzen 😉, wie aufm Trail eben. Mir war nur wichtig, dass Internet funktionierte. Oft hatten wir mit unserem AT&T ja keinen Service, weder im Telefon-/SMS-Netz, noch beim Internet. Nicht nur auf dem Trail, sondern auch in kleineren Orten und man war aufs WiFi des Motels, Hotels, Hostals o.a. angewiesen.
Sas hat mich dann hingebracht, er wollte Kelly sowieso mal kennen lernen. Bei Kelly in der Hikergarage hatte ich einen wundervollen Abend mit Wein, den ich noch besorgt hatte und Internet (zwar schlussendlich nicht über WiFi von ihr, sondern über meine mobilen Daten, da sie mir aus Versehen nicht das komplette Passwort gegeben hatte). Ich hatte Zeit und Ruhe, nichts, was ablenkt, keine "Sightseeingtour".
Ich konnte noch vieles erledigen in dieser Hikergarage. Zuletzt trug ich mich in das Hiker-Gästebuch ein und fand beim Blättern einen weiteren wunderbaren Spruch von John Muir:
"The clearest way into the Universe is through a forest wilderness."
Da wir durch viele forest wildernesses gegangen waren und ich noch weitere vor mir hatte, war mir der klare Weg ins Universum sicher :-)
Ich hatte bereits eine schöne Briefkarte für meinen Cousin in Sydney gekauft und beschloss, den Spruch auch ihm zu schreiben.

 

French Press, Waffen und mein lieber Cousin Philipp

Am nächsten Morgen kam Kelly in die Garage und fragte mich, ob ich nen Kaffee wolle. French Press ... Ich setzte mich mit dem Kaffee in die Sonne, ansonsten war die Novemberkälte schon deutlich zu spüren. Ich breitete mich mit meiner kleinen Tastatur auf dem runden Tisch aus, schrieb, was das Zeug hielt am Blog. Kelly ging ins Pilates. Jon, ihr Volunteer kam aus seiner kleinen Hütte. Wir hatten ein längeres, teils lustiges Gespräch über das Selbstverständnis von Waffen in den USA und den Waffengebrauch an sich. Ich machte mal wieder ein Interview. Jon meinte danach, er würde mich später zum Trail zurück fahren. Ich solle einfach an seine Hütte klopfen.

Dann versuchte ich erneut, die Fotos für die neuen Abschnitte im Blog hochzuladen, die Texte waren fertig und hochgeladen. Zwischendurch kam ich sogar mit dem nun vollständigen Passwort auch mal übers WiFi von Kelly ins Netz. Doch die Fotos waren zu datenintensiv und ich bekam sie auch über meine mobilen Daten nicht "rein". So verging der Nachmittag in der Sonne. Ich beschloss, nur noch die Karte an Philipp zu schreiben. Beobachtete eine Bewohnerin des größeren Holzhauses (das man als Hikergruppe auch komplett mieten kann) beim Wäscheaufhängen. Diese einfache Handlung ries mich in Gedanken fort nach zu Hause, wo wir selbst auch Wäsche zum Trocknen aufhängten. Hier in den USA nutzten wir ja meist Dryer, außer, wenn wir ab und zu mal Socken, Unterhosen ... solo wuschen und beim Zelt aufhängten, aber in der Regel hatten fast alle Hikerfacilities Trockner. Ich legte noch drei Eichenblätter in den Brief an meinen Cousin. Ansonsten stand außer dem John-Muir-Spruch drin, wie wertvoll für mich der gemeinsame Austausch der letzten Monate gewesen war. Mein Cousin und ich waren ja gleichsam miteinander gelaufen: ER mit Kind im Kinderwagen beim Nachmittags-Stroll durch Sydney, ICH durch die Ökosysteme der USA. So war ICH mit Philipp im Wartezimmer des Kinderarztes, beim Einkauf von griechischem Joghurt, in einer Apotheke, im Park, auf Straßen, beim Geschirrspülen uvm. und hatte eine reiche städtische Geräuschkulisse beim Abhören auf dem Trail. Denn meistens lud ich seine bis zu 11, 12 Minuten langen Sprachnachrichten im Resupply-Ort runter und hörte sie zeitversetzt an. ER wiederum begleitete mich beim Hinaufkeuchen auf diverse Berge, beim Gehen über Sand oder Schnee, auf Waldboden mit knackenden Tannenzapfen, beim Klettern über Bäume, beim durchs Unterholz Arbeiten und bei vielen anderen Naturgeräuschen. Dabei tauschten wir unsere Gedanken übers Leben, Überleben, meditative Effekte und was, der Tag noch so alles hergab aus. Darunter Kindererziehung, Umgang mit seinen Resourcen, Geld verdienen, Geld ausgeben, Gesundheit, Grenzen uvm.
Ich wollte ihn an der Wilderness teilhaben lassen und legte dann eben die Eichenblätter bei. Eichen der unterschiedlichsten Art begleiteten ja meine Wege der letzten Tage und sollten das auch die nächsten Tage tun. Drei - eines für ihn, eines für seine Frau Cosima (die er letztlich durch mich kennen gelernt hat, als ich ihn in St. Petersburg beim Studium besuchte), eines für den Sohn Marlon Franz. Philipp hat ja Betriebswirtschaft studiert und gehört zu den Maximierern und Optimierern - wie ich scherzhaft immer sagte. Kelly hatte versprochen, den Brief zur Post zu bringen. Ich steckte noch nen 20er ans Donationbrett und packte meine Sachen. Es wurde bereits wieder dunkel. 
Zum Schluss inspizierte ich noch meine Oboz-Schuhe, die ich ja seit Kennedy Meadows Nord trug, also schon weit über 1000 km. Kleine Risse, aber Profil noch top. Kam mir irgendwie bekannt vor ...

 

(Alle Fotos zu diesem Blog folgen in einem Extra-Blog.)